Saturday, October 28, 2006

Ich bin das Schicksal

Ja, ich hab dich geliebt wie nie zuvor.

Warum deine Lippen küssen, wenn man doch weiss, dass der Tod sehr nahe ist,
wenn man weiss, dass lieben nur heisst: das Leben vergessen,
die Augen verschliessen vor dem Dunkel, das da ist, um sie zu öffnen für die stahlenden Grenzlinien eines Körpers?

Ich will nicht in den Büchern eine Wahrheit lesen, die allmählich steigt wie Wasser, ich verschmähte diesen Spiegel, den allerorten die Gebirge anbieten,
kahler Fels, in dem gespiegelt ist meine Stirn,
quer überflogen von Vögeln, deren Sinn ich nicht kenne.

Ich will mich nicht den Flüssen zeigen, wo die Fische, rot vor Scham, dass sie leben,
die Ufer anfallen, die ihr Verlangen begrenzen,
Flüsse, denen unsagbare Stimmen entsteigen,
Zeichen, die ich nicht begreife, hingestreckt zwischen den Binsen.

Ich will nicht, nein; ich weigere mich, diesen Staub zu schlucken, diese klägliche Erde, diesen spärlichen Sand, diese Sicherheit zu leben, mit der das Fleisch sich einigt,
wenn es begreift, dass die Welt und dieser Körper
fortrollen wie jenes Zeichen, welches das himmlische Auge nicht versteht.

Ich will nicht, nein, ich will nicht schreien, die Zunge erheben,
sie schleudern als Stein, der an der Stirn zerbirst,
der die Scheiben jener unermesslichen Himmel zerbricht,
hinter denen niemand horcht auf den Lärm des Lebens.

Ich will leben, leben wie das zähe Gras,
wie der Nordwind oder der Schnee, wie die Kohle, wach in der Nacht,
wie die Zukunft eines Kindes, das noch nicht zur Welt kommt,
wie die Berührung der Liebenden, wenn der Mond sie nicht beachtet.

Ich bin die Musik, die unter soviel Haaren
die Welt hervorbringt auf ihrem geheimnisvollen Flug,
Unschuldsvogel, der mit Blut an den Flügeln
sterben wird in einer bedrückten Brust.

Ich bin das Schicksal, das alle einlädt, die lieben,
einziges Meer, zu dem alle die liebenden Radien kommen,
die ihren Mittelpunkt suchen, umhergewirbelt vom Kreis,
der sich dreht wie die rauschende, allumfassende Rose.

Ich bin das Pferd, das sein Haar entfacht wider den kahlen Wind,
ich bin der Löwe, gemartert von seiner eigenen Mähne,
die Gazelle, die sich fürchtet vor dem gleichgültigen Fluss,
der niederwerfende Tiger, der den Urwald entvölkert,
der winzige Käfer, der auch im Tageslicht funkelt.

Niemand kann missachten die Gegenwart dessen, der lebt,
dessen, der aufrecht inmitten der schwirrenden Pfeile,
darbietet seine durchsichtige Brust, die keinem Blicke wehrt
die niemals Kristall sein wird, trotz ihrer Klarheit,
denn kommt ihr näher mit euren Händen, so könnt ihr spüren das Blut.

Quelle: "Die Zerstörung oder die Liebe" - Vicente Aleixandre

4 Comments:

Anonymous Anonymous said...

In weissen Gassen, flirrend endlos erscheinend
Oder dunkel dröhnenden Kellern
Der Kathedrale, ausgeraubt von Bilderstürmern
Glaubte ich, Deinen Schatten zu sehen
Meinte, Dein Geruch...nein,Irrtum, Täuschung
Von meinem inneren Wühlen, der Verzweiflung, den zischenden Brandwunden
Siehst Du nur abgeschmackte Oberfläche
Ja, wirf mich, leichthin, wie einen Zigarettenstummel, über die Schulter
Und in Dein Lachen stimme ich sogar ein
Hyänenreflex
Einmal nur tief, ganz tief in Deine Augen
Und ein Fraktal Übereinstimmung
sofort wegdriftend
Und doch genug élan vital Ich weiß nicht, wie lange
Bis Dein kalter Spott mich in den Abgrund schleudert...

10:20 PM  
Blogger Nuria's Blog said...

Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunklen Schluchzens.

6:28 PM  
Anonymous Anonymous said...

Kennst Du Pyga, den knackarschigen Engel aus "Barbarella"? Geflügel....Brust und Keule...earthquakes and smog...
Einmal dem Lockruf des Weinens gefolgt...es ist nie wieder gutzumachen!
Der Lichtträger....der Durchschmetterte...
Mehr traue ich mich nicht (mehr kann ich gar nicht, bedingt durch Müdigkeit, Grippe und Likör)

10:42 PM  
Blogger Nuria's Blog said...

"Wenn wir das Crescendo erreichen, dann stirbst du. Ja, vor Vergnügen. Dein Ende wird ganz plötzlich kommen und voll Wonne sein."

5:17 PM  

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