Anselm Kiefer
Anselm Kiefer, Lasst tausend Blumen blühen
erschienen 12.11.2007 Günter Baumann
"Derart in Schwung gebracht, fällt der Schwenk über die Museumsbalustrade nicht schwer, und der Besucherblick fällt auf Anselm Kiefers "Rapunzel" (1999), einer lebensgroßen Gewandplastik, deren Versatzstücke – feingefaltetes, langes Kleid, bodenlanges blondes Haar, über das eine Leiter sich abwärts hangelt – ausreichen, um den gar nicht dargestellten Menschen zu vergegenwärtigen und ihn zudem noch auf seine Rolle festzulegen. Bezieht sich Kiefer hier auf die Märchenwelt, taucht das Faltenwurfthema auch in der mythisch eingebetteten Serie der "Frauen der Antike" (1995ff.) auf: das in diesem Hinblick irritierende Stacheldrahtgewirr ist nicht abschreckender als die Heiligenmartyrien und die Passionsdramatik des späten Mittelalters, auf dessen Bildlichkeit Kiefers "Katharina" (1999) Bezug nimmt – die fragilen Tonschienen entsprechen dem zerbrochenen Rad.
"Es gibt Namen", meint Anselm Kiefer, "die haben eine bestimmte Aura: […] Man braucht gar nicht viel darüber zu wissen, um damit arbeiten zu können. Der Name erzeugt so eine Ahnung: ein Gefühl, dass dahinter etwas verborgen ist." Es wäre illusionär zu glauben, dass mythologische, biblische und andere symbolisch belegten Namen und Begriffe jedermann präsent sind. Aber ist das unbedingt nötig? Kiefer ist überzeugt, dass Signalwörter wie "Jason" oder "Märkischer Sand" das Gehirn in Bewegung setzen, so oder so: Ihm genügt das unbewusste und halbgewusste Erinnern, um etwa das "Goldene Vlies" (1993/94) aus dem Jason-Mythos als ersehntes und mit aller Gewalt zurückzugewinnendes Traumbild zu identifizieren (es ähnelt wiederum eher einem Frauenkleid als einem Widderfell)."
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